Vernehmlassungsantwort zum Beitritt zur revidierten IVöB

Sehr geehrter Herr Regierungspräsident Dr. Cavigelli 
Sehr geehrter Herr Nigg 
Sehr geehrte Damen und Herren

Die Dachorganisationen der Wirtschaft Graubünden (DOWG) bedanken sich für die Möglichkeit, sich zum Beitritt zur IVöB sowie zum EGzIVöB vernehmen zu lassen. Wir haben uns bereits mit Schreiben vom 09. März 2021 zur „Kaufkraftklausel in der IVöB und im kantonalen Recht“ vernehmen lassen. 

Im Grundsatz unterstützen die DOWG den Beitritt zur IVöB. Die Harmonisierung sowie Modernisierung des Beschaffungswesens ist zu begrüssen. Grosse Bedeutung kommt in der Umsetzung dem seit Beginn des Revisionsprozesses der IVöB und des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB; in Kraft seit 1. Januar 2021) stipulierten Paradigmenwechsel zu. Das Beschaffungswesen soll vom bisherigen Preiswettbewerb neu zum Qualitätswettbewerb mutieren (Qualität neu als Muss-Kriterium). Im Vollzug dürfte der Preis jedoch weiterhin eine wichtige Rolle spielen. 

Wie im erläuternden Bericht zur Vernehmlassung formuliert, muss das Ziel der Vorlage die Stärkung des fairen Wettbewerbs mit gleich langen Spiessen sein. Dringenden Ergänzungsbedarf sehen die DOWG entsprechend zu Art. 29 IVöB. Dabei hat die Regierung über die rechtliche Sachlage transparent zu informieren und dem Grossen Rat als Gesetzgeber ist ein grösstmöglicher Spielraum im Gesetzgebungsprozess aufzuzeigen. Politische Diskussionen rund um die Kriterien „Unterschiedliche Preisniveaus“ und „Verlässlichkeit des Preises“ dürfen nicht im vorherein mit streitbaren juristischen Argumenten verworfen werden. Daher fordern die DOWG die genannte Sachlage in der Botschaft entsprechend objektiv und transparent zu formulieren, damit eine ausgewogene Entscheidungsfindung des Grossen Rats ermöglicht wird (vgl. zu den zusätzlichen Preiskriterien unsere nachstehenden Ausführungen unter Ziffer 1).

Neben einer Harmonisierung der rechtlichen Grundlagen ist für die Bündner Wirtschaft auch eine Harmonisierung im Vollzug von Bedeutung. Die Harmonisierung im Vollzug im Sinne eines gemeinsamen Beschaffungsleitfadens, muss wo, nötig auf die spezifischen Verhältnisse Graubündens angepasst werden. Vor dem Hintergrund der Anwenderfreundlichkeit für die Anbieter ist beim Vollzug weiter auf einfache, speditive und transparente Verfahren zu achten. Die Regierung muss sicherstellen, dass KMU‘s keine Nachteile erfahren und der administrative Aufwand gesenkt werden kann. Das neue Beschaffungsrecht mit dem Beschaffungsleitfaden darf keinesfalls zu ausufernden Regulierungen im Beschaffungswesen führen. Die Regierung ist an-gehalten in der Botschaft darüber zu informieren, wie sie dies im Vollzug erreichen möchte. 

Durch die Digitalisierung (insbesondere BIM) und der Zunahme von Subunternehmern gewinnt zudem das Thema der Vorbefassung (Art. 14 IVöB) sowie der Eignungskriterien (Art. 27 IVöB) an Bedeutung. Auch im Hinblick auf diese Entwicklungen gilt es einen fairen Wettbewerb sicherzustellen. Sodann soll die revidierte IVöB zum Anlass genommen werden, die Kommunikation in Sachen Beschaffungswesen weiter zu verbessern (vgl. zum Vollzug, Kommunikation und Reporting unsere nachstehenden Ausführungen unter Ziffer 2). 

1. Zusätzliche Preiskriterien 

a. Grundsätzliches zu Art. 29 IVöB 

Zu begrüssen ist, dass neu mit Art. 29 IVöB die Preis- und Qualitätskriterien gleichgesetzt wer-den. Im Gegensatz zur BöB können bei der IVöB die weiteren in Art. 29 aufgeführten Kriterien beim Beschaffungsverfahren berücksichtigt werden. Eine Verpflichtung zur Anwendung besteht allerdings nicht. Somit können diese weiteren Kriterien je nach Beschaffungsleistung bzw. Beschaffungsgrösse differenziert und zielführend zur Anwendung gebracht werden. Dabei ist zu beachten, dass durch die Anwendung dieser Kriterien der administrative Aufwand für die Anbieter möglichst tief gehalten wird. 

Das Beschaffungswesen bezweckt gemäss IVöB nicht nur eine wettbewerbsorientierte, faire und transparente Beschaffung der öffentlichen Hand, sondern neu auch einen volkswirtschaftlich, ökologisch und sozial nachhaltigen Einsatz der öffentlichen Mittel. Im Vergleich zum aktuellen Submissionsgesetz (SubG) ist entsprechend auch beim Zweck ein Paradigmawechsel festzustellen. Neu hat das Beschaffungswesen auch einen wirtschaftspolitischen Zweck und soll zur volkswirtschaftlichen Wertschöpfung im Kanton Graubünden beitragen. Dabei geht es keineswegs um einen Schutz des einheimischen Gewerbes vor dem nationalen und internationalen Wettbewerb, sondern dass einerseits ein fairer Wettbewerb stattfinden und sich andererseits die Bündner Volkswirtschaft nachhaltig entwickeln kann. Insbesondere in den Bereichen Know-How und Fachkräfte. 

Um die grossen Lohnunterschiede zwischen Graubünden und dem umliegenden Ausland abzufedern sind die flankierenden Massnahmen im Rahmen des Personenfreizügigkeitsabkommens mit der EU zentral. Insbesondere angesichts dieser grossen Lohnunterschiede sollten auch im Beschaffungsrecht Instrumente für einen fairen Wettbewerb zwischen Graubünden und dem angrenzenden Ausland zur Verfügung gestellt werden. 

b. Qualitative Kriterien des Preises 

Der Vollzug des neuen Beschaffungsrechts ist mit grossen methodischen Herausforderungen verbunden, insbesondere was die Umsetzung der verschiedenen Kriterien gemäss Art. 29 Abs. 1 IVöB anbelangt. So wird sich z.B. die Frage stellen, wie beim Kriterium Nachhaltigkeit die wirtschaftliche und soziale Nachhaltigkeit definiert und objektiv gemessen wird.1 Trotz des an-gekündigten Beschaffungsleitfadens dürften dabei gerade kleinere Vergabestellen mit Umsetzungsproblemen konfrontiert sein. Entsprechend ist davon auszugehen, dass im Vollzug sowie in allfälligen Rechtsmittelverfahren der Preis weiterhin eine wichtige Rolle spielen wird. 

Aus diesem Grund ist es angezeigt, die Kriterien zur Preisbeurteilung ebenfalls zu modernisieren. Die in Art. 29 Abs. 1 IVöB aufgeführten ergänzenden Kriterien „Lebenszykluskosten“ und „Plausibilität des Angebots“ sind zwar eine gute Grundlage für eine Modernisierung der Preisbeurteilung, bilden jedoch nach Ansicht der DOWG nicht das gesamte Spektrum der qualitativen Kriterien eines Preises im Hinblick auf einen fairen Wettbewerb ab. Im Beschaffungswesen geht es einerseits um die Sicherstellung eines diskriminierungsfreien Marktes, wobei auch verschiedene Lohnniveaus diskriminierend wirken können. Im Vergleich zum BöB regen die DOWG aus Vollzugsgründen an, nicht „unterschiedliche Preisniveaus“ als Kriterium zu verwenden, sondern „unterschiedliche Lohnniveaus“. Andererseits ermöglicht das Kriterium der «Verlässlichkeit des Preises» die vorangehende Bewertung der Schlusskosten eines jeden Angebots. Gerade in Branchen mit einem ungesunden preislichen Angebotswettbewerb und relativ hohen Gesamt-kosten kann dieses Kriterium für die Beschaffungsstellen einen grossen Nutzen bringen. 

Die beiden genannten - und in gewissen Kantonen bereits im Rahmen des Beitritts zur IVöB aufgenommenen - Kriterien sind nach Ansicht der DOWG über das EGzIVöB zu ergänzen. Da-mit kann ein transparentes und faires Beschaffungsrecht geschaffen werden. Zudem kann diese vorgeschlagene Modernisierung der Preisbeurteilung auch als Instrument zur Verhinderung von Preisabsprachen dienen. Wie bereits dargelegt, handelt es sich bei der Berücksichtigung der zusätzlichen Kriterien von Art. 29 IVöB um eine Möglichkeit und nicht um eine Pflicht in sämtlichen Ausschreibungsverfahren. Die Beschaffungsstellen können entsprechend selber entscheiden, wann die zusätzlichen Kriterien Anwendung finden.

c. Möglichkeit zur Ergänzung von Art. 29 IVöB 

Die im BöB enthaltenen Zuschlagskriterien «Unterschiedliche Preisniveaus in den Ländern, in welchen eine Leistung erbracht wird» und «Verlässlichkeit des Preises» werden aufgrund der Überweisung von politischen Vorstössen in den Kantonen AG, SZ und TG im kantonalen Beschaffungswesen eingeführt. In anderen Kantonen wie bspw. AG und SO wird die Regierung die entsprechenden Ergänzungen im Gesetzesentwurf aufnehmen bzw. hat dies bereits getan. 

Demgegenüber führt die Bündner Regierung im vorliegenden erläuternden Bericht aus, dass es rechtlich ausgeschlossen sei, zusätzliche Kriterien im Rahmen der kantonalen Beitrittsgesetzgebung einzuführen. Sie stützt sich dabei auf die entsprechenden Faktenblätter der InöB vom 15.12.2020, welche ihrerseits auf ein Gutachten im Auftrag der BPUK gründen (Gutachten Prof. Trüeb und Dr. Martin Zobl: Berücksichtigung unterschiedlicher Preisniveaus bei öffentlichen Beschaffungen – Rechtliche Zulässigkeit). Dieses Gutachten wurde allerdings erst nach dem entsprechenden Beschluss der BPUK, die beiden Kriterien nicht in die IVöB aufzunehmen, in Auftrag gegeben.2 

Dieser Argumentation muss nicht zwingend gefolgt werden: Einerseits räumt Artikel 63 Abs. 4 IVöB den Kantonen eine Restkompetenz ein. Gemäss diesem Artikel können die Kantone «unter Beachtung der internationalen Verpflichtungen der Schweiz Ausführungsbestimmungen insbesondere zu den Artikeln 10, 12 und 26 erlassen». Mit dem Wort «insbesondere» wird zum Ausdruck gebracht, dass Ausführungsbestimmungen zu anderen als den aufgeführten Artikeln nicht ausgeschlossen sind. Anderseits steht in der Musterbotschaft zur IVöB zu dem-selben Artikel: «In der Umfrage […] haben einzelne Kantone [...] eine Restzuständigkeit [gefordert], um Ausführungsbestimmungen zur IVöB erlassen zu können. [...] Überdies kann dadurch der Gesetzgebungsprozess in den Kantonen erleichtert werden, da einzelne Begehren, welche auch im Bundesparlament vertreten wurden und in der IVöB nicht abgebildet wer-den, aufgefangen werden können.». Bei den Zuschlagskriterien «Lohnniveau/Preisniveau» und «Verlässlichkeit des Preises» trifft dies genau zu. Dass die Kantone auch bei den Zuschlagskriterien Akzente setzen können, beweist zudem der Gesetzesentwurf der Aargauer Regierung für die zweite Lesung. Der Aargauer Regierungsrat, dessen Baudirektor zugleich Präsident der BPUK ist, hat im Einführungsgesetz eine Ergänzung zur IVöB bei den Zuschlagskriterien (Art. 29) aufgenommen.  

 

2. Vollzug, Kommunikation und Reporting 

Wie bereits festgehalten, birgt die neue IVöB die Gefahr von noch komplexeren Beschaffungsprozessen. Gerade im Hinblick auf die zahlreichen KMU im Kanton ist dies möglichst zu verhindern. Vor diesem Hintergrund sowie im Hinblick auf einen laufenden Verbesserungsprozess sind die nachfolgend aufgeführten Punkte für die Ausführungsbestimmungen und den Vollzug zu prüfen und entsprechende Erläuterungen in der Botschaft aufzunehmen: 

  • Eckwerte des vorgesehenen Beschaffungsleitfadens, insbesondere zur Handhabung der qualitativen Kriterien des Preises und zum Kriterium Qualität; 
  • aufzeigen von konkreten Massnahmen zur Minderung des administrativen Aufwands (z.B. E-Government); 
  • Evaluation des Beschaffungsleitfadens und der IVöB nach vier Jahren in einem zu publizierenden Bericht (dazu kann u.a. eine Befragung bei den Anbietern durchgeführt werden); 
  • Bereitstellung von praxisbezogenen Hilfsmitteln für die Anbieter (digitale Erklärungsmittel); 
  • Durchführung von regionalen Informationsveranstaltungen zusammen mit den Branchen-verbänden vor und während der Einführungsphase; 
  • einrichten einer externen Anlaufstelle für Anbieter, welche auch Ombudsaufgaben über-nehmen kann; 
  • Schulung, Unterstützung und Beratung der verschiedenen kantonalen und kommunalen Beschaffungsstellen;
  • Vollzugshilfe für die Bestimmungen zur Vorbefassung (Art. 14 IVöB) sowie zu den Eignungskriterien (Art. 27 IVöB), insbesondere im Hinblick auf die Veränderungen im Bereich der Digitalisierung und der Zunahme von Subunternehmerstrukturen in den nächsten Jahren. 

 

Im Beschaffungswesen ist zudem ein schlankes und transparentes Controlling, Reporting und eine entsprechende proaktive Kommunikation von grosser Bedeutung. Die DOWG regen an, dass die Regierung z.B. jährlich einen Beschaffungsbericht publiziert. Dieser kann einerseits Auswertungen zu den durchgeführten Beschaffungen beinhalten (insbesondere zur Anwendung der Zuschlagskriterien) und anderseits die im Vollzug gemachten Erfahrungen im Sinne einer fortlaufenden Evaluation mit Verbesserungsmassnahmen erläutern. Der Bericht kann dem Grossen Rat zur Kenntnisnahme vorgelegt werden. 

Die DWOG schlagen aufgrund der vorangehenden Ausführungen folgende Anpassung des EGzIVöB vor: 

Für die Berücksichtigung unserer Stellungnahme bedanken wir uns im Voraus bestens. Bei Fragen stehen wir Ihnen jederzeit gerne zur Verfügung. 

Freundliche Grüsse 

Dachorganisation der Wirtschaft Graubünden