Positionspapier für eine gezielte Ausweitung der Härtefallhilfen

Nachfolgend skizzieren wir einen Modellansatz, wie eine Härtefallhilfe auch für indirekt betroffene Branchen mit einem mittleren Umsatzrückgang von bis zu 40% jedoch mit hohen Fixkosten und grosser Investitionstätigkeit zielgerichtet umgesetzt werden kann. Insbesondere könnten damit Betriebe, die von der sehr schlechten Wintersaison im Tourismus betroffen sind, zielgerichtet unterstützt werden. 

1 Ausgangslage 

Berechnungen des Wirtschaftsforums Graubünden zeigen, dass für die gesamte Bündner Wirtschaft für die Jahre 2020 und 2021 zusammengerechnet rund CHF 2 Milliarden an Wertschöpfung verloren gehen dürften sowie CHF 1 Milliarde weniger an Mitteln erwirtschaftet werden als in den Vorjahren. Die Umsatzeinbussen aller Unternehmen im Vergleich zu den Vorjahren dürften bei 5 Milliarden zu lie-gen kommen, sofern die aktuellen Eindämmungsmassnahmen bis Ende Februar in Kraft bleiben und danach eine stufenweise Normalisierung einkehrt. Während dem ersten Lockdown im Frühling 2020 war der Schaden nicht kleiner als während der Wintersaison 2021, aber auf viel mehr Unternehmen und Branchen verteilt. 

Die politische Diskussion um Entschädigungen für Unternehmen, die negativ von der Corona-Krise be-troffen sind, ist in vollem Gang. Es ist offensichtlich, dass einige Branchen stark betroffen sind und staatliche Hilfen erfordern. Wenn die Kriterien für die Definition was ein Härtefall ist jedoch zu stark gesenkt werden, besteht die Gefahr, dass das entstehende Nachfragevolumen die Unterstützungsmöglichkeiten von Bund und Kantonen übersteigen. Wenn die Härtefallkriterien umgekehrt zu hoch angesetzt werden, können einzelne betroffene Branchen sprichwörtlich zwischen «Stuhl und Bank» fallen. Darunter können auch solche Betriebe und Branchen fallen, die volkswirtschaftlich bedeutsam sind.

2 Problematik 

In Branchen mit hohen Fixkosten ist nicht nur der Umsatzrückgang über 40% existenzgefährdend, sondern auch ein Umsatzrückgang darunter. Einerseits sind solche Betriebe in ihrer Liquidität und ande-rerseits ist durch den Rückgang der erwirtschafteten Mittel die künftige - auch langfristige - Investitionstätigkeit stark gefährdet. Solche Betriebe sind zurzeit in Graubünden vor allem in touristischen Wertschöpfungsketten auszumachen. Sind systemrelevante Betriebe solcher Wertschöpfungsketten existenziell gefährdet, können die volkswirtschaftlichen Folgen mitunter sehr gross sein, wenn gleich-zeitig viele Betriebe Sanierungs- und Restrukturierungsmassnahmen vornehmen müssen oder die Be-triebe sogar liquidiert werden müssen.

Der Rückgang der Bruttowertschöpfung in diesen Betrieben zeigt sich insbesondere auch in der Abnahme des EBITDA. Diese Mittel benötigen die Unternehmen u. a. für Verzinsung, Kreditzahlungen und Investitionen. Der EBITDA der Bündner Unternehmen dürfte sich für die zwei Jahre zusammengerechnet um eine Milliarde reduzieren. Veränderungen des EBITDA bis zu 20 % liegen in den normalen wirtschaftlichen Schwankungen. Ab 40 % EBITDA-Rückgang dürften bei vielen Betrieben Sanierungs- und Restrukturierungsmassnahmen notwendig werden. Nach einer ersten Berechnung des Wirtschaftsforums Graubünden dürfte der coronabedingte EBITDA-Rückgang von über 40 % im Vergleich zum Jahr 2018 CHF 333 Mio. (CHF 83 Mio. 2020 und CHF 250 Mio. 2021) betragen. Viele dieser Unternehmen mit einem entsprechenden EBITDA-Rückgang von über 40% sind gemäss der aktuellen Härtefallbestimmungen von Bund und Kanton keine Härtefälle und haben entsprechend keinen Anspruch auf Härte-fallhilfen. Denn diese Unternehmen sind behördlich nicht geschlossen und werden voraussichtlich einen Umsatzrückgang von 25-39% haben. Darunter fallen viele Hotels, Bergbahnen und Zulieferer des Wintertourismus.

3 Lösung 

Die ideale Lösung um diese Härtefälle zu unterstützen, sind schnelle Kredite über die Banken zur raschen Sicherstellung der Liquidität sowie die Gewährung von nicht rückzahlbaren Beiträgen aufgrund des Rückgangs des Jahresergebnisses im Vergleich zu den Vorjahren. Damit können auch stark betroffene Unternehmen mit einem Umsatzausfall von unter 40% und einem wesentlichen Schaden auf Stufe EBITDA berücksichtigt werden. Die konkreten Lösungsvorschläge sind:

Kredite 

Das COVID19-Kreditprogramm des Bundes wird reaktiviert und in ähnlicher Weise aufgesetzt wie im Frühling 2020. Der Kanton kann darauf aufbauend die Solidarbürgschaften wie im Frühling 2020 wieder aktivieren. Der Vollzug läuft primär über die Banken. 

Alternative: Reaktiviert der Bund das COVID19-Kreditprogramm nicht, ist der Kanton Graubünden gefordert, zusammen mit der GKB ein artverwandtes System auf die Beine zu stellen.

Entschädigungen aufgrund des EBITDA-Rückgangs 

Für die Qualifizierung als Härtefall soll neben den bisherigen zwei Kriterien (Umsatzrückgang über 40% und behördlich geschlossen) ein drittes Kriterium aufgenommen werden. Dabei soll die Umsatzausfall-grenze auf 20% gesenkt werden und mit einer EBITDA-Rückgangsgrenze von bspw. 40% ergänzt wer-den. Die Höchstgrenze pro Betrieb wird an die entsprechende Höchstgrenze der bisherigen Härtefallhilfen gekoppelt (auch bei künftigen Anpassungen dieser). Ebenfalls können andere Bedingungen und Voraussetzungen gemäss der geltenden Härtefallbestimmungen übernommen werden. Als Option kann die Voraussetzung aufgenommen werden, dass die Eigentümer zusätzliches Eigenkapital einbringen oder Fremdkapitalgeber auf ihre Forderungen verzichten. Das zusätzliche Eigenkapital und der Forderungsverzicht müssen dabei insgesamt mindestens dem vom Kanton gewährten nicht rückzahlbaren Beitrag entsprechen. 

Weil die Unternehmen in diesem System bestehend aus Krediten und nicht rückzahlbaren Beiträgen kurzfristig mit Liquidität versorgt werden können, ist die Berechnung und Feststellung der Härtefallhilfen zeitlich nicht mehr dringlich und kann im Rahmen des ordentlichen Buchhaltungsabschlusses erfolgen. Der Vollzug wird von den Revisionsstellen nach Anweisung des Kantons durchgeführt und kann folgendermassen aussehen: 

Die Entschädigung kann im Voraus angemeldet werden inkl. dem voraussichtlichen EBITDA-Rückgang. Der Corona-Schaden und somit auch der nicht rückzahlbare Betrag wird nach ordentlichem Abschluss des Geschäftsjahres (bspw. für die Rechnungsperioden 2020 und 2021) im Rahmen der ordentlichen Revision des Geschäftsabschlusses festgestellt und von der Revisionsstelle als solcher deklariert. Die Revisionsstellen erhalten die notwendigen Anweisungen zur Berechnung des Schadens vom Kanton. Bspw. dürfen steuerliche Abschlussoptimierungen und nicht begründbare Abweichungen auf der Aufwandseite im Vergleich zum Durchschnitt der Jahre 2015 und 2019 nicht berücksichtigt werden. Die Revisionsstellen stellen dem Kanton einen Antrag auf die Ausrichtung einer Entschädigung. Bei Unter-nehmen, die nicht über eine Revisionsstelle verfügen, kann der Treuhänder diese Berechnung vornehmen oder eine Revisionsstelle für diese Aufgabe mandatieren. Andernfalls kann die Steuerveranlagungsverfügung dafür verwendet werden. 

Die zusätzlichen Kosten dieser Härtefallhilfen für den Kanton Graubünden würden bei Übernahme von 50% des EBITDA-Rückgangs bei dieser dritten Kategorie von Härtefällen ungefähr CHF 166.5 Mio. zu liegen kommen. Je nach Höhe der bereitgestellten Mittel kann der Berechnungsansatz angepasst werden. Bei einer Übernahme von 30% der Schäden würden die Kosten voraussichtlich CHF 100 Mio. betragen.

Alternative: Als Alternative kann die Umsatzrückgangsgrenze auf 30% gesenkt werden. Die dafür benötigten Mittel dürften um einiges höher zu liegen kommen.

Weitere zweckdienliche Anpassungen der Härtefallhilfen 

Erhöhung der nominellen Obergrenzen von Art. 8 Abs. 2 COVID 19 Härtefallverordnung (20 % des Umsatzes und CHF 750'000.00).
Die relative Umsatzobergrenze ist ersatzlos zu streichen. Die Erhöhung der Regelobergrenze sowie der Obergrenze in Ausnahmefällen (1.5 Mio) muss gerade aufgrund der Grösse von touristischen Betrieben im Kanton Graubünden erhöht werden. Diese könnte bei 1.5 Mio (in Ausnahmefällen bei 5 Mio) zu liegen kommen. Bei Unternehmen mit mehreren Betriebsstätten ist eine Erhöhung der Obergrenze zu prüfen. Damit wird die systematische Ungerechtigkeit gegenüber grösseren Betrieben korrigiert, die trotz höheren Umsätzen nicht zwingend höhere Gewinne und Reserven haben. 

Aufnahme des wirtschaftlichen Schadens pro Kanton bei der Zuweisung des Zahlungsrahmens des Bundes.
Der Bund ergänzt den Schlüssel für die Zuweisung des Zahlungsrahmens für Härtefälle mit dem Kriterium der besonders betroffenen Branchen (Bergbahnen, Hotellerie, Reisebüros, Gastronomie, Detailhandel). Er nimmt die dazu notwendigen Berechnungen summarisch vor. Denn es ist davon auszugehen, dass Kantone mit hohen Anteilen an Freizeit- und Tourismusbranchen stärker betroffen sind, als Kantone mit wertschöpfungsstarken Pharma-, IT- oder Finanzbranchen. 

Gleichsetzung von teilgeschlossenen mit geschlossenen Betrieben.
Da eine Abgrenzung zwischen geschlossenen und nicht geschlossenen Betrieben schwierig zu machen ist und ein Wesentlichkeitsprinzip gerade im Detailhandel nicht umsetzbar ist, soll im Kanton Graubünden neben der 15%-Eintrittshürde beim Umsatzrückgang kein Umsatzrückgang von 40% nachgewiesen werden müssen, wenn eine Teilschliessung vorliegt. In diesem Fall dürfen Spartenabrechnungen auch für die teilgeschlossenen 

Bereiche gemacht werden. Teilschliessungen liegen bei behördlichen Verboten vor, darunter fallen bspw. das Verkaufsverbot bei einem Teilsortiment in einem Laden oder der Betrieb eines Hotelrestaurants für externe Gäste. Ebenfalls sollen Betriebe, welche vom Präsenzunterrichtsverbot und dem Versammlungsverbot betroffen sind, automatisch als Härtefälle definiert werden können. Mit diesen Anpassungen kann eine Gleichbehandlung hergestellt werden, Abgrenzungsfragen entfallen und der Vollzug wird vereinfacht. Die Kosten dafür dürften nur unwesentlich höher ausfallen. 

Neugründungen und Betriebsübergaben sollen nicht zu einem Ausschluss führen.
Unternehmen die seit März 2020 den Besitzer über eine neue juristische Person gewechselt haben sowie Neugründungen von Betrieben sind für die Härtefallhilfen nicht anspruchsberechtigt. Viele dieser Betriebe waren bis im Dezember 2020 gesund und schuldenfrei. Diese Anspruchsvoraussetzung wurde vor dem zweiten Lockdown beschlossen und ist überholt. Die Ungleichbehandlung jener Unternehmen ist nicht länger gerechtfertigt. Das Datum für die Eintragung ins Handelsregister ist deshalb anzupassen, bspw. auf den 22. Dezember 2020. 

Zusammenfassende Vorteile der vorgeschlagenen Lösung 

Mit der vorgeschlagenen Lösung gewinnen die Kantone erstens einmal Zeit für die Abwicklung. Zweitens wird auf den tatsächlichen unternehmerischen Schaden abgestellt, womit eine deutlich höhere Fairness entsteht als mit der Abstützung auf vermeintliche Schäden. Drittens haben die Unternehmen einen Anreiz, die Kosten bzw. den Corona-Schaden möglichst klein zu halten. Viertens kann durch die Nutzung des Systems der Revisionsstellen die Abwicklung sehr effizient gestaltet werden. Und schliesslich wird damit eine Möglichkeit geschaffen, auch Unternehmen zu berücksichtigen, die nicht 40% Umsatzausfall haben aber dennoch erheblich betroffen sind. 

Absender: Das vorliegende Positionspapier wurde von den Dachorganisationen der Wirtschaft Graubünden (Bünder Gewerbeverband, Handelskammer und Arbeitgeberverband Graubünden, Hotellerie-Suisse Graubünden) in Zusammenarbeit mit dem Graubündnerischen Baumeisterverband sowie Gastro Graubünden erarbeitet.