Ausgewählter Überblick der Rechtsentwicklungen 2023

Rechtsentwicklung Gesetz 2023


Der Takt in der Politik ist hoch und das Recht ein dynamisches Feld - so ist es nicht immer einfach, den Überblick über alle Aktualitäten zu behalten. Damit Bündner Unternehmen und Arbeitgeber wissen was auf sie zukommt, gibt die HKGR einen Überblick über ausgewählte wirtschaftsrelevante Gesetzesänderungen, welche im Jahr 2023 in Kraft treten. 

Diese Übersicht dient nur zur Information und Sensibilisierung. Sie ist kein Ersatz für eine Rechtsberatung. Die HKGR übernimmt keine Haftung für Handlungen oder Unterlassungen im Zusammenhang mit der Konsultation dieser Zusammenstellung.

Neues Aktienrecht

Per 1. Januar 2023 tritt die Aktienrechtsrevision in Kraft. Das revidierte Aktienrecht enthält zahlreiche Regelungen, welche den Rechtsrahmen modernisieren und den Aktengesellschaften mehr Flexibilität bei der Gestaltung der Kapitalstruktur und der Ausschüttung von Dividenden ermöglichen. Dabei können auch andere Gesellschaftsformen von diesen Anpassungen profitieren. Mit Fokus auf nicht kotierte Unternehmen finden Sie nachstehend einen Überblick über die wichtigsten Änderungen, für Publikumsgesellschaften gelten dagegen weiterführende Regelungen:

  • Sowohl Generalversammlungen als auch Verwaltungsratssitzungen können auf schriftlichem Weg auf Papier oder in elektronischer Form (Zirkularbeschluss) abgehalten werden.

  • Eine Generalversammlung kann ohne Einhaltung der für die Einberufung geltenden Vorschriften abgehalten werden, wenn die Beschlüsse auf schriftlichem Weg auf Papier oder in elektronischer Form erfolgen, es sei denn, ein Aktionär oder dessen Vertreter verlangt die mündliche Beratung.

  • Sowohl für Generalversammlungen als auch für Verwaltungsratssitzungen wird die Möglichkeit von (ganz oder teilweisen) virtuellen Versammlungen vorgesehen, wobei die rein virtuelle Versammlung nur möglich ist, wenn die Statuten dies vorsehen.

  • Das Abhalten einer Generalversammlung an verschiedenen Orten wird möglich, sofern die Voten der Teilnehmer unmittelbar in Bild und Ton an sämtliche Tagungsorte übertragen werden.

  • Mitglieder von Verwaltungsrat und Geschäftsleitung sind verpflichtet, den Verwaltungsrat unverzüglich und vollständig über sie betreffende Interessenkonflikte zu informieren.

  • Wie bereits im bisherigen Recht hat der Verwaltungsrat die unübertragbare und unentziehbare Aufgabe zur Finanzkontrolle und Finanzplanung der Gesellschaft. Neu bestehen jedoch auch ausdrückliche Pflichten bei sog. drohender Zahlungsunfähigkeit. Die im neuen Recht hinzugefügte Formulierung "mit der gebotenen Eile" verschärft zudem die Haftung des Verwaltungsrats.

  • Die Sachübernahme wird sowohl bei der Gründung als auch bei der Kapitalerhöhung abgeschafft. Bezüglich der Sacheinlage ändert sich nichts. Auch unter neuem Recht können Aktien und Stammanteile mittels Einlage von Vermögenswerten liberiert werden.

  • Neu können die Statuten ein Kapitalband vorsehen. Dabei wird der Verwaltungsrat statutarisch ermächtigt, das Aktienkapital während längstens fünf Jahren innerhalb einer bestimmten Bandbreite (Kapitalband) zu verändern.

  • In den Statuten kann das Aktienkapital künftig auch in gewissen Fremdwährungen (zulässige Währungen CHF, EUR, USD, GBP und JPY) vorgesehen werden. In diesem Fall haben Buchführung und Rechnungslegung in derselben Währung zu erfolgen.

  • Neu muss der Aktiennennwert grösser als «null» sein, entsprechend wird bei Aktien auch ein Nennwert von unter einem Rappen ermöglicht. 

  • Die Zahlung von Dividenden aus den Gewinnen im laufenden Geschäftsjahr wird neu ausdrücklich gestattet. Entsprechend kann die Generalversammlung gestützt auf einen unterjährigen Zwischenabschluss die Ausrichtung einer derartigen Zwischendividende beschliessen.

  • Diverse weitere Änderungen bei Kapitalerhöhung und -herabsetzung.

  • Diverse weitere Änderungen bei den Schwellenwerten zur Geltendmachung von Mitwirkungs- und Kontrollrechten der Aktionäre.

Die Nutzung gewisser neuer Bestimmung im Aktienrecht macht eine Anpassung der Statuten erforderlich und sollte daher rechtzeitig an die Hand genommen werden. Gesellschaften, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Rechts im Handelsregister eingetragen sind, jedoch den neuen Vorschriften nicht entsprechen, müssen innerhalb von zwei Jahren ihre Statuten und Reglemente den neuen Bestimmungen anpassen. 

Zur Medienmitteilung des Bundesamts für Justiz BJ

Zu den neuen Gesetzes- und Verordnungstexten


Gesetzlicher Adoptionsurlaub

Ab dem 1. Januar 2023 haben Erwerbstätige, die ein Kind von unter vier Jahre zur Adoption aufnehmen, bei gegebenen Voraussetzungen Anspruch auf Adoptionsurlaub. Der zweiwöchige Urlaub wird über die Erwerbsersatzordnung (EO) finanziert und muss innerhalb des ersten Jahres nach der Adoption entweder tage- oder wochenweise bezogen werden. Der Adoptionsurlaub kann von einem Elternteil bezogen werden oder unter den Eltern aufgeteilt werden, wobei ein gleichzeitiger Bezug ausgeschlossen ist. Für Eltern, die das Kind der Partnerin oder des Partners (Stiefkinder) adoptieren, ist kein entschädigter Urlaub vorgesehen.

Zur Medienmitteilung des Bundesamts für Sozialversicherungen BSV mit dem neuen Gesetzestext


Ende des ALV-Solidaritätsprozents bei den Sozialversicherungsbeiträgen

Seit 2011 wird bei der Arbeitslosenversicherung (ALV) auf Lohnbestandteilen über CHF 148'200.- pro Jahr ein Solidaritätsbeitrag von einem Prozent erhoben. Dieser Zusatzbeitrag fällt per 1. Januar 2023 weg, da das Eigenkapital des Ausgleichsfonds der Arbeitslosenversicherung bis Ende 2022 einen derartigen Stand erreicht, dass das Solidaritätsprozent nicht mehr erhoben werden muss. 

Ausserdem: Als Folge der Erhöhung der AHV-Renten steigen auch die Grenzbeträge der beruflichen Vorsorge.

Zu den Sozialversicherungsbeiträgen ab 1. Januar 2023


Lockerung der Mehrwertsteuerpflicht für Vereine

Bisher waren nicht-gewinnstrebige, ehrenamtlich geführte Sport- und Kulturvereine sowie gemeinnützige Institutionen ab einem Umsatz von CHF 150'000.- mehrwertsteuerpflichtig. Ab 1. Januar 2023 erhöht sich die Umsatzgrenze für die Mehrwertsteuerpflicht auf neu CHF 250'000.-.

Zur Medienmitteilung des Bundesrats


Erstmalige Anwendung der neu geschaffenen Sorgfalts- und Berichterstattungspflichten

Per 1. Januar 2022 sind neue Sorgfalts- und Berichterstattungspflichten für Unternehmen in Kraft getreten. Es handelt sich dabei um die Umsetzung des indirekten Gegenvorschlags zur vom Volk abgelehnten "Unternehmens-Verantwortungs-Initiative". Die neu geschaffenen Pflichten müssen nun erstmalig auf das Geschäftsjahr 2023 von den betroffenen Unternehmen angewendet werden.

Die neuen Bestimmungen im Obligationenrecht sehen insbesondere zwei wichtige Neuerungen vor: Zum einen werden grosse Schweizer Unternehmen gesetzlich verpflichtet, über die Risiken ihrer Geschäftstätigkeit in den Bereichen Umwelt, Sozialbelange, Arbeitnehmerbelange, Menschenrechte und Bekämpfung der Korruption sowie über die dagegen ergriffenen Massnahmen Bericht zu erstatten und damit Transparenz zu schaffen. Zum anderen müssen Unternehmen mit Risiken in den sensiblen Bereichen der Kinderarbeit und der sogenannten Konfliktmineralien besondere und weitgehende Sorgfalts- und Berichtserstattungspflichten einhalten. Die Details zu diesen spezifischen Pflichten hat der Bundesrat auf Verordnungsstufe geregelt.

Zur Medienmitteilung des Bundesrats mit dem Verordnungstext

Revidiertes Erbrecht

Am 1. Januar 2023 tritt auch das revidierte Erbrecht in Kraft. Wer seinen Nachlass mit einem Testament oder Erbvertrag nach den eigenen Vorstellungen regelt, ist künftig weniger stark durch Pflichtteile eingeschränkt und kann freier über sein Vermögen bestimmen. Der Gestaltungsspielraum in der Nachlassplanung wird unter dem revidierten Erbrecht deutlich erweitert, jede Person kann mindestens über die Hälfte ihres Nachlasses frei verfügen. Die Reduktion des Pflichtteils wird auch zu einer grösseren Flexibilität bei der erbrechtlichen Unternehmensnachfolge führen und dadurch die Übertragung eines Unternehmens auf eine Nachfolgerin oder Nachfolger erleichtern. Die neuen Bestimmungen finden auf alle Nachlässe der nach dem 31. Dezember 2022 verstorbenen Erblasser Anwendung, unabhängig vom Datum eines Testaments oder Erbvertrages.

Zur Medienmitteilung des Bundesrats 

Zum revidierten Gesetzestext


Teilrevidiertes Personalgesetz für Mitarbeitende des Kantons Graubünden

Das Personalgesetz regelt für den Kanton Graubünden die Arbeitsverhältnisse der Mitarbeitenden der kantonalen Verwaltung, der kantonalen Gerichte und der selbstständigen öffentlich-rechtlichen kantonalen Anstalten (mit Ausnahme der Graubündner Kantonalbank). Das ab 1. Januar 2023 geltenden teilrevidierte Personalgesetz sieht insbesondere Verbesserungen im Bereich der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, der Flexibilisierung des Altersrückstritt, den Ferien und bei der Förderung von Teilzeitarbeit vor.

Zur Medienmitteilung der Bündner Regierung


Aktualisiertes Vertriebskartellrecht

Die Schweizer Wettbewerbskommission (WEKO) hat am 14. Dezember 2022 ihre revidierte Bekanntmachung über die wettbewerbsrechtliche Behandlung von Vertikalabreden inkl. Erläuterungen publiziert, damit wird der jüngsten Rechtsprechung und Fallpraxis in der Schweiz sowie den Entwicklungen in der EU Rechnung getragen. Die revidierte Vertikalbekanntmachung wird am 1. Januar 2023 in Kraft treten. Bestehende Verträge müssen innerhalb einer Übergangsfrist von einem Jahr an die neuen Vorschriften angepasst werden.

Vereinbarungen zwischen Unternehmen verschiedener Marktstufen, z.B. zwischen Herstellern und Detailhändlern, sind an der Tagesordnung. Solche Vereinbarungen erhöhen in der Regel die Effizienz innerhalb einer Produktions- oder Vertriebskette. Gewisse Vereinbarungen wie Preisbindungen und Abschottungen des schweizerischen Marktes sind jedoch grundsätzlich unzulässig. Die WEKO (mit der Vertikalbekanntmachung inkl. Erläuterungen) und die europäische Wettbewerbsbehörde (mit der Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung inkl. Vertikalleitlinien) zeigen auf, welche Verhaltensweisen erlaubt sind und welche nicht. Die EU hat ihre Regeln modernisiert und per 1. Juni 2022 in Kraft gesetzt. Sie berücksichtigt unter anderem die Erkenntnisse im Bereich des Online-Handels und erlaubt eine grössere Flexibilität bei der Gestaltung von Vertriebssystemen. Die WEKO hat in der Folge ihre Bekanntmachung überarbeitet und sichergestellt, dass weiterhin grundsätzlich die gleichen Regeln zur Anwendung kommen wie in der EU. Zudem berücksichtigt sie die jüngste schweizerische Rechtsprechung und Fallpraxis. Dazu gehört auch der Leitentscheid des Bundesgerichts (Hors-Liste-Medikamente) über Preisempfehlungen. Die Bekanntmachung tritt am 1. Januar 2023 in Kraft. Die Unternehmen haben ein Jahr Zeit, ihren Vertrieb an die neuen Regeln anzupassen.

Zur revidierten Vertikalbekanntmachung inkl. Erläuterungen


Neues Datenschutzgesetz ab 1. September 2023

Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 31. August 2022 entschieden, das totalrevidierte Datenschutzgesetz (DSG), die neue Datenschutzverordnung (DSV) sowie die neue Verordnung über Datenschutzzertifizierungen (VDSZ) am 1. September 2023 in Kraft zu setzen. Ursprünglich war dafür die zweite Jahreshälfte 2022 vorgesehen. 

Die Revision des Datenschutzrechts wurde notwendig, um der technologischen Entwicklung und der digitalen Transformation unserer Gesellschaft gerecht zu werden. Die neuen Bestimmungen stellen zudem die Vereinbarkeit mit dem europäischen Recht sicher und ermöglichen es, die modernisierte Datenschutzkonvention 108 des Europarats zu ratifizieren. Diese Anpassungen im neuen Datenschutzrecht sind wichtig, damit die EU die Schweiz weiterhin als Drittstaat mit einem angemessenen Datenschutzniveau anerkennt und die grenzüberschreitende Datenübermittlung auch künftig ohne zusätzliche Anforderungen möglich bleibt. 

Das neue DSG führt insbesondere die folgenden wesentlichen Veränderungen für Unternehmen ein:

  • Nur noch die Daten natürlicher Personen sind künftig betroffen, die von juristischen Personen nicht mehr.

  • Genetische und biometrische Daten werden in die Definition der besonders schützenswerten Daten aufgenommen.

  • Die Grundsätze "Privacy by Design" (Datenschutz durch Technikgestaltung) und "Privacy by Default" (Datenschutz durch datenschutzfreundliche Voreinstellungen) werden eingeführt.

  • Folgenabschätzungen müssen durchgeführt werden, sofern ein hohes Risiko für die Persönlichkeit oder die Grundrechte der betroffenen Personen besteht.

  • Die Informationspflicht wird ausgeweitet: Bei jeder Beschaffung von Personendaten – und nicht mehr nur von sogenannten besonders schützenswerten Daten – muss die betroffene Person vorgängig informiert werden.

  • Ein Verzeichnis der Bearbeitungstätigkeiten wird obligatorisch. Die DSV sieht jedoch eine Ausnahme für KMU vor, deren Datenbearbeitung nur ein geringes Risiko von Verletzungen der Persönlichkeit von betroffenen Personen mit sich bringt.

  • Eine rasche Meldung ist erforderlich, wenn die Datensicherheit verletzt wurde. Sie ist an den Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB) zu richten.

  • Der Begriff Profiling (die automatisierte Bearbeitung personenbezogener Daten) wurde in das Gesetz aufgenommen.

Mit der Inkraftsetzung des neuen Datenschutzgesetzes und der Verordnungen auf den 1. September 2023 kommt der Bundesrat einem Anliegen aus der Wirtschaft nach, indem die Umsetzungsfrist den Datenschutzverantwortlichen genügend Zeit verschafft, um die notwendigen Vorkehrungen für die Umsetzung des neuen Datenschutzrechts zu treffen. 

Zur Medienmitteilung des Bundesrats mit den neuen Gesetzes- und Verordnungstexten